13.06.2021

Der Meister und Hüter der Historie

Andreas Hierholzer hat in Darmstadt, Florenz und Los Angeles Architektur studiert und arbeitet seit 30 Jahren in Berlin. Hierholzer entwirft und baut Gebäude mit  sehr unterschiedlichem Charakter: Moderne Funktionsgebäude wie Solarzellenfabriken, ein Kletterzentrums für den Deutschen Alpenvereins, eine Botschaft, Privathäuser und eine Wohnsiedlung vor den Toren Berlins. Zudem ist Hierholzer auch ein Meister in der Restaurierung von denkmalgeschützten Gebäuden: von dem 1764 erbauten kleinen Wohnhaus eines Webers bis zur legendären Villa Goldschmidt der Architekten Breslauer und Salinger von 1921, die wie kaum ein anderes Haus deutsche Geschichte vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Wiedervereinigung widerspiegelt.

Mit seinem Team ist Andreas Hierholzer verantwortlich für die Sanierung, Restaurierung und den Ausbau der Altbauten der Schönhauser Allee 8. Ursprünglich für den Rechtsanwalt Willy Kessler als sogenanntes Zinshaus von Regierungsbaumeister E. Hoepfner 1911-1912 als repräsentatives Wohn-, Geschäfts- und Fabrikgebäude gebaut, wurde das rückwärtige Quergebäude im 2. Weltkrieg zerstört.

In der AchtBerlin trafen bereits Tradition und Moderne aufeinander. Hinter der eklektischen Natursteinfassade der Gründerzeit verbirgt sich eine innovative Stahlbetonkonstruktion, die damals variable Nutzungen der offenen Grundrisse ermöglichte.

Der Reiz der Bauaufgabe liegt hier besonders im Herauspräparieren bestehender Qualitäten und in der Ausbauplanung von Teilbereichen wie des kathedralenhaften Raumes des freitragenden fast neun Meter hohen Dachstuhls.

Beate Wedekind hat sich mit Andreas Hierholzer über das Besondere an diesem Projekt unterhalten.

Weshalb steht das Haus an der Schönhauser Allee 8 unter Denkmalschutz ?

Das Gebäude steht seit 1992 unter Denkmalschutz. Meine Interpretation: Es weist einen sehr guten Erhaltungszustand auf. Fast alle Details aus der Bauzeit sind erhalten, obwohl das zweite Quergebäude im 2. Weltkrieg zerstört wurde. Das eigentlich Besondere ist aber, dass dieses Wohn- und Geschäftshaus, gebaut Anfang des 20. Jahrhunderts, ein freitragendes Stahlbetontragwerk hat.

Was damals außergewöhnlich war?

Ja, außergewöhnlich und neu. Es ging im Prinzip erst um 1900 los mit der Verwendung von Stahlbeton für Gewerbebauten. Wir haben hier in den ersten Geschossen als Gewerbegrundrisse ausgewiesene Flächen, die bekamen Betondecken mit sehr hohen Traglasten, weil hier eine Druckerei vorgesehen waren. Im Prinzip sind es immer zwei Dinge, die ein Gebäude denkmalwürdig machen. Das eine ist die Bauqualität oder auch die kunstvolle Ausführung des Hauses an sich. Wenn die Gebäude besonders typisch für eine Innovation der damaligen Zeit war wie das Haus, von dem wir hier sprechen. Und das zweite sind oft Dinge, die mit der Zeitgeschichte zusammenhängen, wenn beispielsweise in einem Gebäude eine wichtige Institution untergebracht war.

Bei meinen Recherchen habe ich wenig Angaben zum Bauherren und zu der früheren Nutzung gefunden …

Wir können davon ausgehen, dass im Hinterhaus ursprünglich eine Seifenfabrik war, wir haben entsprechende Schilder gefunden. Viel mehr kann ich über die Nutzung auch nicht sagen. Oft sind ja Unterlagen im Verlauf des 2. Weltkriegs verloren gegangen. Wir haben aber alte Fotos gefunden aus der Nachkriegszeit, u.a. von einer Wettannahmestelle. Ich gehe davon aus, dass das Haus damals eine wilde Mischung von Kleingewerbe und vor allen Dingen Wohnungen war. Ganz sicher waren nach 1945 unterm Dach auch Flüchtlinge untergebracht.

Was muss man in der Zusammenarbeit mit den Denkmalschutzbehörden besonders beachten?

Zunächst sollte man selbst eine gewisse Sensibilität für den Denkmalgehalt eines Gebäudes haben. Also, es geht jetzt nicht darum, dass man eine Idee, die man hat, gegenüber der Denkmalschutzbehörde durchsetzt, sondern im Idealfall ist es ein gedeihliches  Zusammenarbeiten, bei dem man von den Denkmalschutzbehörden auch schon Mal Dinge erfährt, die man vielleicht selbst nicht herausgefunden hätte, zum Beispiel über Baumaterialien. Bei den Fliesen in den Hofdurchfahrt hat jedoch unser Restaurator selbst diese als von der  Veltner Fliesenmanufaktur stammend identifiziert, die zur gleichen Zeit die Fliesen für die Restaurierung des Ishtartors im Pergamonmuseum herstellten.

Der damalige Bauherr des Hauses an der Schönhauser Allee 8 war Regierungsbaumeister E. Höpfner .

Nein, Höpfner war der Architekt oder wie man damals sagte: Baumeister. Der Bauherr, also der Eigentümer, war Rechtsanwalt Willy Kessler

Und was heißt Regierungsbaumeister?

Das war eine Form der Anerkennung. Wenn man sich sozusagen für staatliche Aufträge empfohlen hatte, dann bekam man Titel wie Regierungsbaumeister, andere wurden zum Hoflieferant oder Geheimrat ernannt. In der Zeit war der Titel des Architekten nicht so verbreitet wie heute, man sprach vom Baumeister.

Übrigens, wenn man sich die europäischen oder auch die südamerikanischen Metropolen anschaut,  ist zur selben Zeit genau das Gleiche passiert. Das heißt, wenn man Gebäude dort mit denen in Berlin vergleicht, erkennt man einen Kanon  von Grundtypen. Die Baumeister von damals mussten  keine neuen Grundrisse und Fassaden erfinden, man hat sich an die etablierten Formen halten können. Der Baumeister war eher eine Art Taktgeber und hat die Gebäude im  Konzert mit den Handwerkern gebaut. Es wurde ganz anders gearbeitet, kaum Bauzeichnungen gemacht, nur den Grundriss und die Fassade gezeichnet. Ich kenne alte Bauakten von Gründerzeithäusern, da ist zum Beispiel nur an einem Fenster die Verzierung angedeutet, das hat dem Stuckateur als Vorlage für alle Fenster gereicht.

Kommen wir jetzt mal zu dem, was hier passieren soll. Wie ist Ihre Herangehensweise bei einer solch umfassenden Restaurierung, Sanierung und Modernisierung?  

Im Vorderhaus sind bisher die Bauherren mit ihren Firmen selbst die Nutzer, sobald der Neubau fertig ist, werden sie mit ihren Büroräumen dorthin umziehen. Dann gibt es noch langjährige Mieter, ein Künstleratelier, eine Wohngemeinschaft, und die Wohnung einer Galeristin. Sie werden alle wohnen bleiben. Hier wird also nicht entmietet. Wenn die Bauherrn ausgezogen sind, werden wir im Vorderhaus umbauen und für die verfügbare gewordenen Räume werden neue Mieter gesucht. Die Stamm-Mieter werden für einige Monate in Ersatzflächen umziehen und dann wird in einem Rutsch durchsaniert, Innen und außen. Wir hoffen, dass wir Mitte/ Ende 2022 die Arbeiten abschließen können.

Müssen Sie sich bei der Neugestaltung an die vorhandenen Grundrisse halten oder sind die variabel?

Theoretisch kann man alles verändern. Im Quergebäude haben wir außer drei Stützen quasi keine tragenden Bauteile und auch im Vorderhaus sind nur drei Stützen und das Treppenhaus als tragende Elemente, außer den Fassaden natürlich. Die Wohnungsgrundrisse im zweiten, dritten und vierten Geschoss haben viele schönen Originaldetails, da werden wir uns natürlich nicht drüber hinwegsetzen. Wie auch die alten Türen, die Parkettböden, die Fenster mit den Heizkörperverkleidung – alles Bauzeitliche werden wir erhalten. Im ersten Geschoss, das immer eine Büroetage war, und wo in den letzten Jahrzehnten viel umgebaut wurde, gibt es praktisch nichts Bauzeitliches mehr. Da nutzen wir die Möglichkeiten und organisieren das Geschoss komplett neu.

Das erste Geschoss wird also eine modernere Anmutung haben als die Etagen darüber?

Wir werden die DNA des Vorgefundenen aufnehmen. Moderner werden wir eher im Quergebäude, was schon jetzt insgesamt etwas anders ist als das Vorderhaus. Hier nehmen wir uns etwas mehr Freiheiten, immer in Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde, und hinten, wo früher die Fabrik war, im zweiten Hof entsteht ja der Neubau. Es wird also nach hinten so eine Art Abstufung ins Modern. Vorn zur Straße hin bleiben wir im Wesentlichen im Denkmal verhaftet.

Und was ist mit den Kellergeschossen? Gehören die auch zum Denkmal?

Grundsätzlich ja. Wir haben im Keller einen großer Tresorraum, einen Kühlraum und einen handbetriebenen Aufzug, der wie ein Speiseaufzug aussieht, der war aber für den Medikamententransport zur Apotheke, die früher im Erdgeschoss war.

Was passiert mit diesen Räumen?

Das was unter Denkmalschutz steht, erhalten wir.

Gehen wir Mal rauf ins Dachgeschoss …

Das Dachgeschoss wird natürlich ausgebaut. Der Raum wird mit seiner acht Meter Höhe fantastisch. Er hat fast eine kathedralenhafte Form und die wollen wir erhalten und mit einem Lichtkonzept sensibel noch hervorheben.

Gibt es eigentlich in Berlin genügend Bauhandwerker, die so ein anspruchsvolles Projekt fachgerecht umsetzen können?

Die gibt es. Auch, wenn das in Berlin vor allen Dingen in den Sechziger und Siebziger Jahren verloren gegangen war.  Im Grunde genommen war das fast eine Ideologie, dass man das Bauen industrialisierte und mit industrialisierten Produkten arbeitete. Und gleichzeitig hat man die Gründerzeitarchitektur, die ja die Mehrzahl der alten Häuser darstellte, diskreditiert und diffamiert. In dieser Zeit gab es nur Ausnahmeprojekte wie Kirchen, die saniert und restauriert wurden. Schon unmittelbar nach dem Krieg ist man – natürlich auch aufgrund von Materialmangel – sehr unzahm mit der alten Bausubstanz umgegangen.

In den Sechziger und Siebziger Jahren sind dann alle Dämme gebrochen, die beschädigten Altbauten wurden schamlos abgerissen und für die damaligen typischen Neubauten brauchte man diese hochqualifizierten Bauhandwerker nicht mehr. Erst in den Achtzigern begann man den Wert alter Bausubstanz wieder zu schätzen und stellte fest, das in Deutschland das alte Bauhandwerk verloren gegangen war. Mittlerweile, auch dank polnischer Handwerker für spezielle Herstellungsdetails, gibt es auch bei uns wieder zunehmend gut ausgebildeten Handwerker und Handwerksmeister.

Gibt es hier im Vorderhaus noch Spuren der 2. Weltkriegs.

Unten im Hof gibt es eine Stelle, da ist eine Handgranate explodiert. Da sind die Splitterschäden in den Ziegeln sichtbar. Man sieht auch, wie die Granate durch die Tür ins Treppenhaus geworfen worden war. Da sind auch Splitterspuren.

Was machen sie damit?

Das lassen wir so. Auch oben im Dach gab es Brandschäden. Da ist eine Stelle, wo eine Brandbombe verglüht ist. Die hat den Beton richtig zerstört und es gibt dort auch Beschussspuren. Also, da hat ein Flugzeug mit Bordwaffen schräg von oben in das Dach reingeschossen. Eine Stahltür, hat Einschusslöcher und Ausschusslöcher, die wie Pilze aufgehen.

Lassen Sie uns kurz noch über den Neubau sprechen. Wie gehen Alt- und Neubau zusammen?

Mit dem eigentlichen Neubau des Projekts habe ich nichts zu tun. Thomas Kröger ist der Architekt und er hat ein, so finde ich, sehr gelungenes Gebäude entworfen. Der Neubau ist eine gute Addition zum Altbau und der Kellerausbau mit seinen ovalen Öffnungen im Hofboden , verknüpft die Gebäudeteile sehr gut mit- und untereinander.

Zum Schluss: Gibt es ein Detail, das für Sie etwas Besonderes ist?

Eine Besonderheit an diesem Gebäude ist ganz sicher die Straßenfassade. Eigentlich ist sie so, wie man das kennt aus der Zeit: Groß und schwer und mit diesem fast grotesken Natursteinmauerwerk, das an Florentiner Palazzi erinnert. Dieses „schwere“ Bauwerk ruht auf einem Erdgeschoss, das zu beiden Seiten Portale, fast bauhaushaft und filigran, besitzt. Das sieht man nicht oft. Und – dieses Erdgeschoss war schon zur Bauzeit komplett verglast, wurde getragen von zwei gusseisernen Pilastern, die noch im Mauerwerk stecken und die wir jetzt frei legen wollen.

Herzlichen Dank für dieses sehr interessante Gespräch zur Schönhauser Allee 8.